Brief von Fritz Kater, 24. August 1918

Kurz vor Ende des 1. Weltkrieges wurde durch die preußi­schen Polizei­be­hörden ein Brief von Fritz Kater an einen Kameraden abgefangen. Er gibt sehr schön die Stimmung gegen Ende des Krieges in der syndi­ka­lis­ti­schen Bewegung um die „Freie Verei­nigung deutscher Gewerk­schaften“ wieder, sowie, wie man zur entste­henden Bewegung der „Unabhän­gigen“ (U.S.P.D.) sich verhält.

Abschrift.

Berlin, den 24. August 1918

Lieber Freund!
Du schreibst mit unter dem 15. Juli einen längeren Brief, in welchem Du deinen Unwille über Untä­tigkeit unserer­seits ausdrücktest, selbst aber am Schlusse sagst, dass Ihr jeweilig abseits steht und beobachtet „denn die deutsche eiserne Faust lässt uns auch keinen Milimeter von unseren Beobach­tungs­posten abweichen.“

Meinst Du es ginge uns hier anders? Wenn die entfern­teste Möglichkeit gegeben wäre, etwas in unserem Sinne tun zu können, würde es unter­nommen werden. Gewiss! Eine Zeitung heraus­geben, das würde man uns eventuell wohl erlauben, wenn-ja wenn wir den verlangten Kotau machen würden, d.h. in aller Form offen und heilig versi­chern, nichts über Sozia­lismus, Syndi­ka­lismus, direkter Aktion etc. zu sagen, sondern nur so zu schreiben, wie es die General­kom­mandos wünschen und anordnen. Wollt Ihr, dass sich einer von uns prosti­tuiert? Nur deswegen prosti­tu­tiert, damit im Lande keiner sagen kann, die Syndi­ka­listen haben während des Krieges nichts von sich hören lassen? Den Ruhm, sich entmannt und prosti­tuiert zu haben, über­lassen wir gern den Helden um die Dortmunder Arbei­ter­zeitung und all ihren Gesin­nungs­ge­nossen in ganz Deutschland, einsch­ließlich des großen Teiles der sog. „Unabhän­gigen“. Ja, hierüber, über die Unabhän­gigen und unsere Stellung zu ihnen, wolltest du ja auch etwas wissen. Wenn wir vor ca. 1/4 Jahr unsere Freunde im Lande auffor­derten, die Sammlungen der „Unabhän­gigen“ zur Unter­stützung der Opfer des großen Muniti­onss­treiks zu unter­stützen, so ist damit noch keineswegs von einem gemein­samen Zusam­men­gehen unserer­seits mit ihnen die Rede. Es ist gänzlich ausge­schlossen, dass wir, resp. ich, auch nur einen einzigen Augen­blick solchen Gedanken gehabt hätte. Ein zurück zum Parla­men­ta­rismus gibt es nicht. Im Gegenteil: wenn jemals der Wert oder Unwert des Parla­men­ta­rismus für das Prole­tariat erwiesen worden ist, dann während der letzten vier Jahre! Ein Deckmantel für die Untaten und Unarten des herrschenden Kapita­lismus und Scheu­klappen für die stumpfe und dumpfe Masse ist der Parla­men­ta­rismus. Und jeder Parla­men­tarier, mag er sein wer er sei, ist mehr oder weniger, bewusst oder unbewusst, ein Volks­be­trüger. Das meine Anschauung und Über­zeugung, die auch die unserer bekannten Genossen ist. Damit ist denn auch wohl beant­wortet, was Du in Bezug auf ein Zusam­men­gehen mit den Unabhän­gigen wissen willst. Aber es gibt doch noch etwas, was uns reizen kann, den Unabhän­gigen näher­zu­treten, ohne sich mit ihnen zu identi­fi­zieren. Das ist der Opposi­tions-Stand­punkt, den wir mit ihnen gemeinsam, gegen die Regie­rungs­so­zia­listen und den Gewerk­schafts­führern einnehmen. Da ist es notwendig, dass alle Kräfte zusam­men­stehen, um den verderb­lichen Einfluss jener auf die Geister des arbei­tenden Volkes zu brechen. Der Bolsche­wismus spricht: der „kommu­nis­tische Sozia­lismus“ lässt sich nicht verwirk­lichen, solange in den Köpfen der Arbeiter der Zentra­lismus mit all seinen dikta­to­ri­schen Drum und Dran Raum hat. Nun sind freilich die Unabhän­gigen lange keine Kommu­nisten, also auch keine Syndi­ka­listen. Wenn sie aber der Ansicht sind, eine Zukunft haben zu wollen, dann wird ihnen eben nichts anderes übrig bleiben, als unsere Ideale und auch unsere Organi­sa­ti­onsform anzuer­kennnen, andern­falls sie über kurz oder lang einfach von der Bildfläche verschwinden. Das aber ist es, was wir, soweit wie möglich, verhindern müssen.
„Sein oder Nichtsein“! wird nach Kriegs­be­en­digung bald die Frage über die Unabhän­gigen sein. Und dann wäre es unver­ant­wortlich von uns, wenn wir die Frage nicht schon vorher dahin geklärt hätten, dass nur noch die Antwort übrig bleibt: „Ihr werdet sein, wenn ihr Unsere Prinzipien und organi­sa­to­ri­schen Grund­sätze annehmt!“ Darum heißt es heute schon Fühlung suchen. Nicht zusam­mensch­ließen, sondern soweit als möglich _zusam­men­ar­beiten_! Das soll sein!
Nun höre ich aber zu meinem Erstaunen, dass der Genosse Feist und Flieten-Lütgend­ortmund sich den Unabhän­gigen gänzlich angeschlossen und unsere Organi­sation aufge­geben haben. Wenn das wahr ist, wäre es unbegreiflich. Es kann doch lange nicht davon die Rede sein, dass ein Mensch tot ist, wenn er nur nicht spricht oder sonstwie Radau schlägt. So ist auch unsere Bewegung nicht tot, obgleich sie gegen­wärtig offiziell keinerlei Tätigkeit entfaltet. Traurig wäre es um uns, und unsere Ideale bestellt, wenn sie nicht mehr inneren Gehalt hätten, als das die von Verboten des freien Äußerns in Wort und Schrift nach so kurzer Zeit, wie die 4 Jahre des Krieges, schon verflogen und vergessen wären. O nein! In allen Orten, wo wir Stütz­punkte hatten, lebt die Idee! Und weit darüber hinaus finden sich neue Männer, die um Infor­ma­tionen rufen. Das gibt mir sogar den Mut und die innere Kraft zu wünschen, dass ich noch die Zeit erleben möchte, wo wir unsere Fahnen entrollen und getreu unseren Genossen im Osten, der Welt ein Beispiel dafür geben, wie die Arbei­ter­be­wegung aussehen soll und wie sie nicht sein darf. Und wenn heute jemand wünscht, noch längere Zeit leben zu wollen, dann muss er auch Hoffnungen haben, deren Verwirk­li­chung im wertvoll erscheint. Ohne dies hätte das Leben heute doch nicht den geringsten Wert. Diese Hoffnung hält nicht nur mich, sondern auch die hiesigen Genossen aufrecht, und tun wir alles, was unter den gegeben Verhält­nissen möglich ist.
Ist die Zeit gegeben, dann werden auch wieder Schriften und Zeitungen erscheinen, bis dahin muss es ohne „Führer“ und führende Schriften gehen.

Was mich persönlich betrifft, geht es mir, den Verhält­nissen entspre­chend, leidlich, verdiene mir pro Tag 7 Mark beim Berliner Magistrat und hungere mich mit meiner Familie so durch, wie andere auch. Nichts desto­we­niger rufe aber auch ich: „Durch­halten!“ Durch­halten in unserem Sinne und festhalten an der Organi­sation und deren Grund­sätze!
Mit sozia­lis­ti­schen Grüßen
Fritz Kater

 

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