Wer den Staat nicht zerschlagen kann, soll nicht ins Parlament gehen.

Eine Erwiderung auf ACID`S Post “Warum ich als Anarchist in einer Partei aktiv bin.”

Lieber Acid, ich habe heute deinen Text in deinem Blog gesehen und möchte ein paar Worte der Erwiderung suchen, aber auch die Türen offen lassen zur Diskussion. In der Regel tue ich dies nicht, da vieles was ich las, für mich in krassen Wider­spruch zum Anarchismus steht, den ich und meine Genos­sinnen und Genossen vertreten und versuchen aufzu­bauen. Wenn du mich persönlich fragst, dann hast du dir durch deinen Text eine Seite gewählt, die nicht die meine ist.

Das persön­liche vom konkreten Trennen.

Zu aller erst möchte ich, dass die angespro­chenen Sachen für mich von deiner Person getrennt werden, da ich dich nicht recht kenne und das einzelne Wort nicht über­mäßig werten will. Aller­dings möchte ich die Worte ernst genug nehmen, da du mit dem Text für die Öffent­lichkeit zu recht­fer­tigen suchst, dich als selbst­be­zeich­nender Anarchist an dem Entmün­di­gungs­organ des Bundestags zu betei­ligen, bzw. dich zu seiner Betei­ligung aufstellen lassen willst.

Ich habe mitbe­kommen, dass du lieber dich – als andere noch fragwür­digere Piraten – im Bundestag siehst, aller­dings geht vieles von dir geschriebene am Thema vorbei. Im Folgenden möchte ich auf einige Punkte eingehen, warum es einem Anarchisten unmöglich ist, unter Aufgabe des Anarchismus für ein Parlament zu kandi­dieren, gerade für den Bundestag.

[tl;dr] Ein Anarchist beteiligt sich nicht an der Entmün­digung der Bevöl­kerung, sondern kämpft für die Abschaffung jener Entmün­digung durch den Staat und seine Organe.

Wahrnehmung der Anarchisten in der Piraten­partei.

Das erste Mal nahm ich die Piraten­partei 2009 in Berlin wahr, als ich im Vorfeld der Bundes­tagswahl 2009 mich an einer Anti-Wahl-Kampagne betei­ligte. Viele Punkte, sowie die generelle Wahlkritik, lassen sich von damals auch heute auf die Piraten­partei über­tragen. Und auch wenn ich weiterhin keinerlei Partei meine Stimme abgeben werde um sie 4 Jahre später wieder aufnehmen zu dürfen in Form eines standa­ri­sierten Wahlzettels, so war ich doch wohlwollend über­rascht, als ich aus der Piraten­partei anarchis­tische Stimmen vernahm. Bisher bin ich auf ein halbes Dutzend offen sich als Anarchisten verste­hende Piraten gestoßen, eine Handvoll mehr, die anarchis­ti­schen Positionen positiv gegen­über­steht aber sich nicht als solche verstehen. Dieses Wohlwollen kommt auch daher, dass ich über Anarchis­tische Partei­tak­tiken aus den 20er Jahren Bescheid weiß und mitbe­kommen möchte, wie die Argumen­ta­tionen (diesmal) lauten, um die Teilnahme im Parla­men­ta­rismus und Partein­system zu recht­fer­tigen.

Vielleicht hilft mein Text ja auch jenen, ein wenig ihren Weg zu über­denken.

Staats­frage und Erste Inter­na­tionale.

Die Frage, wie die Anarchisten mit dem Staat umgehen, ist mehrfach Dreh- und Angel­punkt der Praxis und Theorie­bildung gewesen, in der Regel aus konkreten Erfah­rungen (die bis heute repro­du­zierbar sind) im Kampf um die Emanzi­pation der Menschen , um die Abschaffung der Herrschaft des Menschen über den Menschen und die Privi­legien einzelner oder kollek­tiver Gruppen durch etatis­tische Macht­struk­turen. An den verschie­denen Vorstel­lungen des Umgangs mit dem Staat (Betei­ligung und Eroberung der Macht oder Über­flüs­sig­ma­chung und Besei­tigung) schied sich die Erste Inter­na­tionale. An verschie­denen Teilfragen schieden sich auch später noch die einzelnen Strö­mungen von kollek­ti­vis­ti­schen über syndi­ka­lis­ti­schen und platt­for­mis­ti­schen Strö­mungen. Wählt man die Taktik (und es scheint dir darum zu gehen) des Gangs durch die Insti­tu­tionen und das Mittel einer Partei, so gibt es seit der Spaltung der Ersten Inter­na­tionale die wichtigen und richtigen Begrün­dungen, weshalb das abzulehnen ist. Wählt man nämlich die Taktik der Partei(en), so hat man ein paar Grund­le­gende Probleme.

Grund­le­gende Probleme.

Eroberung des Staates oder Wie könnte eine freie Gesell­schaft aus einer autori­tären Organi­sation hervor­gehen?

Parla­men­ta­rische Demokratie ist bei aller Selbst­recht­fer­tigung eigener Notwen­digkeit die Existenz einer Entmün­di­gungs­ma­schi­nerie die von oben befielt und unten Gehorsam verlangt, sei es direkt durch Gesetze und Durch­setzung durch eine Exekutive oder die Schaffung einer normie­renden Gesell­schafts­ordnung durch verschie­denste exekutive Organe (nicht allein der Polizei und Militär­ap­parat sondern auch Sozia­lämter, Beamten­häuser, Kontrol­leure und allerlei andere Normie­rende Insti­tu­tionen die zum Gehorchen züch­tigen.) Eine Weisung von oben, auch die Anweisung zur Mündigkeit kann niemals die Schaf­fende unver­formte und ungenormte Entfaltung von Mündigkeit hervor­rufen, die ein föde­rales Konzept der Freien Assozia­tionen befördert.

Ich hatte bisher gedacht, dass die Piraten das demokra­tischste und weither­zigste sind, was man unter den Partein derzeit finden kann, aber die Idee des Marsch durch die Insti­tu­tionen ist nichts als der Wunsch die Menschen von Oben zu ihrer Emanzi­pation zu erziehen, nichts anderes übrigens als der Marxis­tische Weg mit der Avant­gar­de­partei und dem Kadaver­ge­horsam.

“Aber ihr versteht nichts von neuem Geist; er lässt sich nicht in Eure verbrauchten Formen gießen. Wir, die wir keine Hierar­chien errichten wollen, errichten keine Neuen.” Andrè Leo (Organi­sa­torin innerhalb der Ersten Inter­na­tionale)

Wir wollen den Triumpf der Gleichheit durch die Abschaffung des Staates, nicht durch piratige Beamte.

Wenn die Piraten dereinst die Möglichkeit dazu haben, werden sie Beamte berufen, sei es durch die Notwen­digkeit ihren Arbeits­ablauf zu optimieren, oder dadurch in den Verwal­tungen genügend Kraft entfalten zu können. Wie sollten Beamten es anstellen, wenn nicht durch staat­liche Verwaltung? Wir wollen den Wider­aufbau der Gesell­schaft und die Konsti­tu­ierung der Einheit der Menschheit nicht von oben nach unten, durch irgend­welche Autorität(en) und durch (piratige) Beamte, Ingenieure und andere offizielle Gelehrte – sondern von unten nach oben durch die freie Föde­ration der von dem Joch des Staates befreiten Assozia­tionen aller Art. Noch dazu kann eine rein politische Umwälzung (im Parla­men­ta­risch und Republi­ka­ni­schen Sinne) nimmer der Bevöl­kerung die volle Freiheit bringen, noch kann sie der Bevöl­kerung aus dem Zustande der materi­ellen wie morali­scher Versun­kenheit retten, in welchem die Bevor­rech­teten und Privi­li­gierten sie heute noch so gerne halten.

Die Idee von der Mehrheit.

Die Idee der Parla­men­ta­ri­schen Demokratie folgt einem wichtigen Trugschluss. Sie folgt der Irrung, dass gewählte vertreter wirklich die Inter­essen ihrer Wähler­schaft vertreten. Um diese Durch­zu­setzen wird sich in Inter­es­sens­gruppen, sprich Parteien zusammen geschlossen. Nun werden mangelnde Verän­de­rungen im Parla­men­ta­rismus mit mangelnden Mehrheiten erklärt. Nun steht man vor folgendem Problem:

“Die Piraten im Bundesrat und Bundestag erreichen entweder eine Minder­hei­ten­ver­tretung oder sie erreichen die Mehrheit. Wenn die Piraten­partei eine Minder­hei­ten­ver­tretung erreicht, erweist sie sich als wertlos, denn die Reprä­sen­tanten der privi­li­gierten Klassen haben in ihrer Vertretung die ganze Intel­ligenz, alle Privi­legien der Sozial­wis­sen­schaften und alle Reich­tümer zu ihrer Verfügung und werden die Reprä­sen­tanten der Piraten, wenn sie sie nicht kaufen (denn sie werden sich nicht kaufen lassen), so doch täuschen, weil sie über größere Mittel verfügen und eben deswegen wird dasselbe passieren wie heute, wo wir eine kärg­liche Vertretung der Piraten haben. Wenn allerding die Vertretung, die ihr erreicht, die Mehrheit hat, wird sie sich ebenfalls als unnütz erweisen, denn dann haben wir ja bereits die Mittel, um für unsere Prinzipien den Sieg zu erringen ohne uns regen zu müssen und vor allem ohne mit der Regierung mitmar­schieren zu müssen.”

Wer den Staat nicht zerschlagen kann, soll nicht ins Parlament gehen.

Um unsere Arbeit als Anarchisten zur Über­flüs­sig­ma­chung des Staates aufzu­nehmen, bedarf es keiner Hilfe einer piratigen Regierung. Oder anders formu­liert: Ich bin erstaunt, das dieje­nigen, die die Anarchie anstreben, den Staat vertei­digen, obwohl sie doch seine Grundlage kennen und das gerade jene erklären, der Staat sei Notwendig für die Emanzi­pation.

Zur Sache mit der Revolution.

Zwei Punkte gab es für mich noch, die mich regel­recht böse gemacht haben. Da wäre zum einen ein falsches Revolu­ti­ons­ver­ständnis und ein wider­liches Statement zum Spani­schen Bürger­krieg. Revolution ist nichts, was sich Anarchisten möglichst Gewalt­tätig wünschen oder als einzigen gangbaren Weg sehen. Anarchisten wünschen sich nichts sehnlicher, als dass es fried­fertig in eine andere Gesell­schaft hinüber­gleitet, das die sogenannte Trans­for­mation unblutig und als “das langwei­ligste der Welt” nebenbei passiert. Doch stellen wir uns der Realität, wird dies nicht so einfach sein, Privi­legien und Macht wird halt durch Exekutive und Repres­si­ons­ap­parat nur zu gerne auch Blutig verteidigt. Auch passieren Revolu­tionen keineswegs schlag­artig, sondern entwi­ckeln sich über Jahrzehnte in der Gesell­schaft. Auch der Spanische Bürger­krieg hatte 70 Jahre vorlaufzeit, und der Auslöser, das sollte hier gegen die geradezu Reaktio­näre Position deiner­seits, wurde durch eine Vertei­digung der Arbei­te­rInnen-Organi­sa­tionen gegen einen Faschis­ti­schen Putsch ausge­löst.

Anarchisten wie Elise Reclus oder Kropotkin vertraten durchaus ein Konzep­tio­nelles Verständnis von Evolution und Revolution, die einander ergänzen. Revolution ist nicht der Blutige Pfad über Leichen, sondern die notwendige Änderung dieses Gesell­schafts­ver­hält­nisses durch direkte ökono­mische, kultu­relle und soziale Aktion. Die Über­nahme der Produktion nach Bedarfs­wirt­schaft, Auflösung der kapita­lis­ti­schen Eigen­tums­ordnung und Über­windung sozialer und kultu­reller Normierung. Nicht zu Letzt die endgültige Über­flüs­sig­ma­chung des Staates durch eigene Organi­sa­tionen mit föde­ra­tivem antiau­to­ri­tären Aufbau.

Spanien war eine Chance, kein dikta­to­ri­sches Aufbe­gehren.

Was im Juli 1936 im republi­ka­ni­schen Spanien passierte, war die Kraft einer emanzi­pa­to­ri­schen Bewegung, die sich Bahn brach. Angefangen als Vertei­digung der Republik durch revolu­tio­näre Arbei­te­rInnen-Organi­sa­tionen, entfalltete sich schnell ein Revolu­tio­närer Geist, der mehr wollte, als nur die Demokratie zu stützen. Die von den Faschisten befreiten Gebiete gingen in den ersten Monaten ohne großes Zutun der CNT (welche zu der Zeit an die 2 Millionen Organi­sierte hatte). Es handelte sich hier keineswegs um das Aufdrücken einer Ideologie auf die Bevöl­kerung (wie in der Bolsche­wis­ti­schen Revolution), sondern um Ausdruck des Mehrheits­willens der arbei­tenden Bevöl­kerung. Wer von einem Bewaff­neten Umsturz redet, verwechselt Faschisten mit Anarchisten und verkehrt Ursache und Wirkung, verhält sich sogar geradezu reaktionär. Das Scheitern Spaniens sollte uns gerade auch vor Augen führen, dass eine Taktik des Staats­er­halts nicht zielführend ist.

Strategien, die angeblich fehlen.

Und wenn du dir keine anderen Strategien als die Nutzung des Staates und Entmün­digen vorstellen kannst, dann solltest du den von dir geschätzen Mühsam nochmal zur Hand nehmen, oder auch Gustav Landauer mit seinem Siedlungs- und Kommune-Anarchismus, die Syndi­ka­listen mit der Arbeits­börse (dem am besten ausge­ar­bei­teten Anarchis­ti­schen Gesell­schafts­konzept), Genos­sen­schaft­liche Ideen unter­suchen, Gewerk­schaft­liche Kämpfe Stützen, das Konzept des Klassen­kampfes vielleicht auch mal wahr nehmen und zu guter Letzt jegliche Über­flüs­sig­ma­chung des Staates durch Mensch­liche Mündig­ma­chung unter­stützen.

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